Donnerstag, 4. April 2013

"Das Stiefmütterchen wird diffamiert" - Gärtnern in ZEIT

Ein Profiblick auf Gartengestaltung, zittiert vom Professor für Landschaftsarchitektur an der Technischen Universität München aus dem ZEIT-Artikel "Das Stiefmütterchen wird diffamiert" vom 27.3.2013.

Professor Udo Weilacher erinnert daran, das Gärtnern eigentlich eine Abgrenzung von der Natur ist, seit Anfang an, "... seit der Garten erfunden wurde, als die Menschen vor Tausenden von Jahren in Mesopotamien sesshaft wurden, Feldbau betrieben und ihre Äcker zum Schutz vor wilden Tieren einzäunten. Da ging es nicht um Naturnähe, sondern zu hundert Prozent um Nützlichkeit. Kriterien wie Schnönheit kamen hinzu, als der Mensch sich in der Renaissance von den Kräften der Natur emanzipierte - und sie deshalb überhapt erst zu genießen lernte. (...) Die Gartenkunst hat vielmehr immer dan große Sprünge gemacht, wenn Gesellschaften einen Überschuss an Zeit, Geld oder Energie hatten. Wenn heute zwanzig Millonen Haushalte in Deutschland einen Garten haben und die meisten dieser Gärten reine Ziergärten sind, bedeutet das also nicht back to the roots, sondern: Wir leben in einer Überflussgesellschaft, die sich das Luxusprodukt Garten leisten kann."

Weiter erläutert der Professor die modernen Trends der Gartengestaltung:
"Warum stellen wir Mitteleuropäer Buddas auf unsere Terrassen? Nicht weil das unser innigster Wunsch wäre, sondern weil wir nicht mehr wissen, welche Alternativen es gibt. Dass der richtige Baum an der richtigen Stelle viel kontemplativer sein könnte. Und das wissen wir nicht, weil unserer gefühlten Naturnähe eine Naturferne innewohnt."

"(...) was Sie heute in deutschen Vorgärten sehen - weißer Kies, ein auf Bonsai getrimmter Wachholder, schlimmstenfalls noch eine Japan-Laterne -, das ist gärtnerisches Fast Food, der Hamburger der Gartenkunst."

Laut dem Profi fehlt es bei der Gartengestaltung an Geduld. "Das liegt zum einen daran, dass wir öfter umziehen als früher und mit diesen schnelleren Takt der Wunsch verbunden ist, trotzdem einen fertigen Garten zu haben. Zum anderen sind wir alle geeicht auf: heute  online bestellt, morgen gelifert. Gucken Sie mal, wie viel Rollrasn verlegt wird. In den Baumschulen werden auch immer mehr ausgewachsene Bäume verkauft, zwölf Meter hoch und mehr als 20 000 Euro teuer. Es fehlt an Demut gegenüber dem Rhythmus, den ein Garten eigentlich hat. Ich hatte mal eine Kundin, die partout keine Hainbuchenhecke wollte. Orginalzitat: >>Da hängen im Winter immer Leichen drin. (...) Na, die abgestorbenen Blätter. Das ertrage ich nicht. Ich will, dass es immer grün ist.<< Dass Tod und Verwesung zum Gartenzyklus dazugehören, ist nicht mehr selbstverständlich. Das ist der Grund, warum die Menschen massenhaft Kirschlorbeer kaufen. All das Immergrüne, das im Herbst keine Blätter abwirft. Das macht auch weniger Arbeit. Viele Leute haben Angst vor einem pflegeintensiven Garten. Das ist mit das Erste, was sie fragen: Wieviel Arbeit macht das?
(...) Man rechnet etwa mit einer Stunde Gartenarbeit pro Quadratmeter im Jahr."  Bei uns wäre das also 370 Stunden!




Was ich auch genial fand, war die Parkgestaltung in Frankfurt, im Stadtteil Bonames. "Da haben Kollegen einen ehemaligen Militärflughafen in einen Park umgewandelt. eine Möglichkeit wäre gewesen, zu sagen: Wir räumen den ganzen Kram ab, die Startbahn, den Hanga, und gestalten eine Landschaft, wie wir sie von alten Gemälden kennen. Stattdessen haben sie gesagt, und das finde ich sehr, sehr klug: Wir fahren kein einziges Bröckchen Material weg. Mit großen Presslufthämmern haben sie den Asphalt aufgebrochen und in Schollen liegen gelasen. (...) Zwischen diesen Schollen entwickelt sich eine ganz eigene Pflanzenwelt, bilden sich Wasserflächen. Überall schwirren Libelen herum, Kinder fangen Kaulquappen und beobachten Frösche."

Auf die Frage, ob das Stiefmütterchen aus der Mode gekommen ist, antwortet der Professor: "Richtig eingesetzt im Garten, kann das Steifmütterchen ein echter Kanller sein! Für mich sind Stiefmütterchen nicht aus der Mode gekommen, sie werden nur diffamiert. Allein der Name tut diesem Gewächs nicht gut."







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